Kulturbeutel: Hans-Jürgen Herrmann

Hans-Jürgen H. – der Grenzgängige

Ein Leben zwischen Städten und im Atelier

Frankfurter oder Offenbacher – das ist am Ende die Frage, die unweigerlich kommen muss bei Hans-Jürgen Herrmann. Die Antwort: »Bayreuther«. Nein, kein Ausweichen bei der heikelsten Frage zwischen beiden Städten. Es ist Überzeugung. Herrmann stammt aus Bayreuth, ist dort auch immer mal wieder, um nach dem Tode der Mutter nach dem Elternhaus zu schauen. Doch hierzulande kennt man ihn nur als Frankfurt-Offenbacher Fotografen, seit 40 Jahren. Einst kam er nach Offenbach wegen der »HfG«, wurde Fotograf. Später zog er mit Frau Anita nach Sachsenhausen, bezog aber auch in einem typischen Offenbacher Gewerbe-Hinterhof-Backsteinhaus ein Atelier. So wie es viele dort gibt, wo deren Dichte viel höher scheint als in Frankfurt. Ein Hinterhaus, das er sich im »Projekt Bleichstraße« auch immer mit anderen Kulturschaffenden teilte. Seit zwei Jahren lebt er auch in Offenbach. Im Atelier. Das hat er nach dem Tod seiner Frau umgebaut. Genauer: sich eine Wohnung hineingebaut. Kleinen Wohnraum, Schlafräumchen, Küchenzeile und Bad. Und zwischen den Regalen geht’s von einer Welt in die andere. Gut 70 Quadratmeter – »all inclusive«. Herrmann macht keinen Hehl daraus: Wohnung und Atelier auf dem Frankfurt-Offenbacher Pflaster hätte er sich nicht lange leisten können. Zum Glück kann er im Atelier wohnen, das Hinterhaus hat schon eine wechselvolle Wohn-Gewerbe-Geschichte. Das Glück haben nicht alle Künstler*innen, die Lebensraum im Schatten der Frankfurter Hochhäuser suchen.

Langsam endet für Herrmann die Zeit, in der ihn einmal ein Fotograf für ein Porträt typischerweise auf der Kaiserlei-Brücke zwischen den Welten abbildete. Überhaupt scheint sich mancher Kreis zu schließen. Im Offenbacher Rathaus sind gerade Bilder aus der Geschichte der Stadt zu sehen. Er und zwei Kollegen zeigen Fotos rund ums 50 Jahre alte Rathaus, das dem Brutalismus huldigte. Brutalismus referiert auf das französische »brut« für Sichtbeton, der Baustil jener Epoche. Herrmann fotografierte vor zwei Jahrzehnten einige Bauten. Seine Referenz an diesen seiner zwei Exil-Orte. Langzeit-Betrachtungen sind ohnehin Seins. Auch ein Fotowerk zu 40 Jahre »Großstadt« Offenbach in den 90ern. Für Langzeit-Betrachtungen ist er auch in Frankfurt bekannt. Seine Referenz an den zweiten Ort ist »NeuliXt«. In Frankfurt hat er über Jahre Vernissagen fotografiert. Nicht offensichtlich, eher dezent, fast »aus der Hüfte geschossen«. Seine Motive: die Menschen in der Ausstellung. Genauer: die Menschen, die Kunst und deren Verschmelzen. Der Klassiker:  Bild mit den Querstreifen plus Mann mit Querstreifen-Shirt. Ob Menschen in der Kunst oder Bauten im Stadtbild, denen er Spannendes abfotografierte und sie damit selbst zur Kunst machte. Für Herrmann, der als Fotograf sein Geld verdiente, aber als Künstler stets den Ort seines Geschehens unspektakulär im Blick hatte und in Szene setzte, haben seine Orte offenbar immer eine besondere Rolle gespielt; ohne eine Präferenz. Wobei es übrigens längst auch ein paar Offenbacher NeuliXts gibt, die Melange beider Städten in seiner Kunst also offenbar geschaffen ist. Vielleicht ist der Bayreuther tatsächlich einer der wenigen Frankfurt-Offenbacher Künstler. Auf jeden Fall wird er die beiden Städte von seinem Wohn-Atelier aus wohl noch ein paar Jahre mit der Kamera begleiten. Bevor man ihn in ein paar Jahren wohl dann seltener sehen wird. Warum? Dann ruft so langsam das alte Elternhaus in Bayreuth … (_us).